Beim 35C3 habe ich die Organisation der Chaospatinnen/Chaos Mentors von Fiona übernommen. Neben vieler anderer Dinge, die ich mit dieser Aufgabe zu erledigen hatte, sprach ich mit einigen Pressevertreter:innen und wurde dabei irgendwann auch mal gefragt, ob ich denn wohl fände, dass die Chaospatinnen etwas bringen.
Was genau machen die Chaospatinnen eigentlich?
Die Chaospatinnen versuchen Erstbesucher:innen des Chaos Communication Congress die Angst zu nehmen, die Veranstaltung zu besuchen und den Einstieg zu erleichtern. Sie bringen dazu auf Interessenbasis, erfahrene Teilnehmer:innen (Mentor:innen) mit Erstbesucher:innen (Mentees) zusammen. Diese Gruppen können dann gemeinsam die Veranstaltung erkunden, sich gegenseitig unterstützen und vielleicht sogar ein erstes kleines Netzwerk bilden, das sich dann in den großen Kongress einflechten kann. Außerdem bieten die Chaospatinnen mit ihrer Assembly einen Anlaufpunkt und eine mögliche Ruhezone.
Und, bringt das nun was?
Ich habe die Frage der Journalistin dann relativ verkürzt beantwortet. Sie hat mich danach jedoch noch weiter beschäftigt, denn ich finde sie gar nicht so leicht zu beantworten. Zunächst mal gilt es allerdins zu klären, was denn die Chaospatinnen überhaupt wollen und auch das ist schwierig. Sowohl im Orga-Team als auch unter den Mentor:innen sind die Motivationen sehr vielfältig.
Blicken wir nicht sonderlich weit und sagen, dass die Chaospatinnen ausschließlich darauf abzielen, Erstbesucher:innen die Einstieg leichter zu machen, ist es einfach. Wir haben in diesem Jahr rund 200 Mentees mit knapp 50 Mentor:innen in Gruppen zusammen gebracht. Sowohl Mentor:innen als auch Mentees haben mir viele Feedback gegeben und unter dem Strich, kann ich sagen, wir waren sehr erfolgreich.
Meine persönliche Motivation ist allerdings eine andere und ich weiß, dass dies viele bei den Chaospatinnen ganz ähnlich sehen.
Dem Chaos Communication Congress mangelt es an Diversität, insbesondere wenn ich die Gender-Brille aufsetze. Mit etwa 80% wird die Verteilung stark von cis Männern dominiert.* Das ist keine Neuigkeit und es wird immer wieder gerne darüber gesprochen. Gerne wird dann angeführt, dass es aber in den letzten Jahren einen starken Trend zum Ausgleich gäbe.
Nachdem ich diese Behauptung auf dem 31C3 im Gespräch mit einer Freundin auch wiederkäute, wies sie mich darauf hin, dass ich es da wahrscheinlich mit einer Fehlwahrnehmung zu tun hätte. Seither achte ich verstärkt darauf und muss ihr Recht geben.
Es ist mir wichtig, Diversität nicht nur auf den Gender-Anteil zu reduzieren. Die dominante Gruppe des C3 lässt sich sicherlich auch noch gut auf sozioökonomischen Status, Bildungsniveau, Migrationsgeschichte, Behinderungen usw. festklopfen. Doch ich kümmere mich hier um Gender, denn dies ist für mich noch am ehesten messbar, ohne Fragebögen zu verteilen, auch wenn es ziemlich witzig wäre, herauszufinden, wie wohl auf eine Solche Datenerhebung reagiert werden würde.
Okay, aber bringt es denn jetzt was oder nicht?
Die Chaospatinnen haben in diesem Jahr zum ersten mal eine formalisierte Registrierung über ein Webinterface angeboten. Dort war es unter Anderem auch möglich, anzugeben, welches Pronomen sich eine sich registrierende Person zuordnet. Für uns ist dieses Datum recht wertvoll, denn wir sind, abgesehen von den Interessen der teilnehmenden Personen auch sehr bemüht, Gruppen zu bilden, in denen sich alle Teilnehmer:innen sicher fühlen. Gender-Identifikation spielt hier aus unserer Sicht eine große Rolle.
Zum 35C3 wurde in den Registrierungen als Mentee 162 mal dieses Feld (mit einem sinnvollen Wert) ausgefüllt.
Auch unter den Mentees der Chaospatinnen bilden Personen, die sich selbst als “He” (oder auch “Herr” oder “Herr Dr.”) identifizieren, die größte Gruppe. Jedoch mit rund 54% weitaus weniger stark vertreten als in der Summe der Teilnehmer:innen des 35C3. Das Pronomen “She” wurde bei rund 40% der Registrierungen angegeben, weitere 6% gaben andere Pronomen wie “They” oder “X” an.
Im diesjährigen Blogpost zu den Chaospatinnen wurde gesteigerter Wert darauf gelegt, die Zielgruppe der Chaospatinnen außerhalb der stark repräsentierten Gruppe zu verorten. Deshalb haben diese Zahlen mich persönlich ein bisschen enttäuscht. Ich habe mir hier mehr erhofft und werde in Zukunft versuchen, noch klarer zu kommunizieren.
Trotzdem kann für den kleinen Bereich, den die Chaospatinnen abdecken, gesagt werden: Ja, die Chaospatinnen bringen was. Mit fast 50% nicht cis männlichen Mentees leisten wir einen Beitrag zu Steigerung der Diversität auf dem Chaos Communication Congress.
Das Lächeln verschwindet allerdings sofort wieder, sobald ich die 200 Mentees der Chaospatinnen neben eine Summe von fast 17.000 35C3-Teilnehmer:innen halte.
Ich bleibe aber trotzdem dabei und halte die Chaospatinnen weiterhin für sehr sinnvoll. Denn abgesehen von den absoluten Zahlen, haben die Chaospatinnen eine gewisse Signalwirkung. Die Chaospatinnen kommunizieren nach außen: Wir sind offen für Euch und Ihr seid willkommen.
Das Interesse der Medien an unserem Projekt hilft da natürlich ungemein. Zusammen mit den vielen anderen Projekten, die dafür sorgen wollen, dass sich auch Personen, die nicht Teil der überrepräsentierten Gruppe sind, willkommen fühlen können, können wir auf Dauer einen diverseren Chaos Communication Congress gestalten, wovon dann wieder alle, auch die cis Männer mit dem vollen Konto, aus bildungsbürgerlichen Familien, profitieren können.
*Woher kommen die Zahlen und wie belastbar sind sie?
Dieser Abschnitt ist wahrscheinlich in erster Linie für die neugierigen Leser:innen interessant.
Wie das immer so ist, wenn Leute Zahlen erheben, sind auch diese hier mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Insbesondere, dass sie darauf basieren, wie ich ganz subjektiv versuche, Gender von anderen Personen zu lesen. Natürlich liege ich da nicht immer richtig. Schlimmer noch, ich kann nicht sagen, wie oft ich wohl falsch liege, Fehlerbalken wären also auch nur geraten.
Desweiteren lässt sich jede einzelne Zählweise (dazu später mehr) kritisieren und die Tatsache, dass ich Werte miteinander vergleiche, die so gleich gar nicht sind. Der eine basiert darauf, wie ich eine Person lese, der nächste auch einer Angabe, die eine Person selbst über sich macht.
Es muss also im bewusst bleiben, dass es hier nicht um Nachkommastellen geht sondern eher um etwas gröbere Verhältnisse. Trotzdem wage ich die Behauptung, dass ich hier mit weitaus belastbareren Zahlen hantiere, als dieses Bauchgefühl, mit dem nach dem Congress gerne gesagt wird: “Wow, dieses Jahr waren aber viel mehr Frauen da!”
31-33C3
Auf dem 31C3 und den beiden folgenden habe ich mich jeweils einmal an eine Rolltreppe gestellt und jeweils bei ca. 200 Personen versucht sie in Männer oder Frauen einzuteilen (Ja ja, niemand ist super schlau auf die Welt gekommen!). Sample-Größe, Einteilung, alles nicht so optimal, aber später wird alles besser. Mein Aufzeichnungen sind hier ein bisschen schwach, deshalb hier ein bisschen schwach: Auf dem 31C3 lag der Anteil der Frauen nach meiner Zählung bei etwas über 18%. Auf dem 32C3 bei etwas über 15% und auf dem 33C3 hatte ich 17%.
Auf dem 34C3 wollte ich besser zählen, habe es dann aber leider völlig verpeilt.
35C3
Auf dem 35C3 Habe ich es etwas besser gemacht. Ich bin bei zwei Gruppen geblieben, denn ich habe solche mechanischen Klick-Zähl-Dinger verwendet und verfüge nur über zwei Hände. Dieses mal habe ich in Personen, die ich als cis Mann (Dude-Nerd) lese und alle Anderen unterteilt. Da dies am nächsten an das Verhältnis kommt, das mich tatsächlich interessiert.
Ich habe mich zu drei verschiedenen Zeitpunkten an drei verschiedene Durchgänge gesetzt und große Anzahlen von Personen durchgezählt.
Tag 2 (Junghacker-Tag) von 14:40 Uhr bis 15:40 Uhr, am Punk-Späti (schön war das!)
Dude-Nerds: 733 - 82,27%
Non-Dude-Nerds: 158 - 17,73%
Tag 3 von 17:15 Uhr bis 18:50 Uhr, im Zentrum von Halle 2, zwei der Durchgänge
Dude-Nerds: 743 - 78,54%
Non-Dude-Nerds: 203 - 21,45%
Tag 4 von 15:50 Uhr bis 17:25 Uhr, am vorderen Durchgang von Halle 3 zur Glaswurst
Dude-Nerds: 930 - 79,82%
Non-Dude-Nerds: 235 - 20,17%